Presseinformation – Wissenschaftlicher Stab

Teilhabelücke: Menschen mit Migrationshintergrund sind seltener politisch aktiv oder zivilgesellschaftlich engagiert

Eine heute veröffentlichte Auswertung des SVR-Integrationsbarometers 2020 zeigt: An der Bundestagswahl 2017 haben sich nach eigenen Angaben deutlich weniger Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund beteiligt als Wahlberechtigte ohne Migrationshintergrund. Auch beim zivilgesellschaftlichen Engagement – z. B. der Mitgliedschaft in gemeinnützigen Organisationen oder Vereinen – zeigt sich eine Teilhabelücke. Allerdings weisen in Deutschland geborene Nachkommen von Zugewanderten vergleichsweise hohe Engagementquoten auf.

Berlin, 9. März 2021. Menschen mit Migrationshintergrund beteiligen sich insgesamt seltener politisch und zivilgesellschaftlich als Menschen ohne Migrationshintergrund. Nach eigenen Angaben haben 65 Prozent der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund bei der Bundestagswahl 2017 ihr Kreuz gemacht; das sind gut 20 Prozentpunkte weniger als bei jenen ohne Migrationshintergrund (rund 86 Prozent).

Die Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR), Prof. Dr. Petra Bendel, hebt hervor, dass die Frage der gesellschaftlichen Integration nicht auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt und im Bildungssystem verengt werden sollte. „Kulturelle, politische und zivilgesellschaftliche Dimensionen der Integration sind für die subjektiv wahrgenommene Teilhabe und das damit verbundene Zugehörigkeitsgefühl zur Gesellschaft ebenfalls von zentraler Bedeutung. Zugewanderte insbesondere der ‚zweiten Generation‘ sind in den vergangenen Jahrzehnten in wachsendem Maße in Politik und Gesellschaft aktiv und sichtbar geworden – aber ihre Teilhabe ist in vielen Bereichen noch ausbaufähig.“

Staatsministerin Annette Widmann-Mauz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, die das Forschungsvorhaben gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) gefördert hat, betont: „Unsere Demokratie lebt von der Beteiligung und aktiven Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Politische Partizipation zu fördern, ist deshalb ein wichtiges Thema – nicht nur im Wahljahr 2021. Dazu gehören die Engagementförderung und politische Bildung genauso wie noch stärker dafür zu werben, dass diejenigen Menschen, die die hohen Anforderungen einer Einbürgerung erfüllen, auch tatsächlich Deutsche werden.“

Auf die Rolle der politischen Bildung für demokratische Teilhabe verwies Thomas Krüger, Präsident der bpb: „Die Studie unterstreicht ebenso wie auch aktuell der 16. Kinder- und Jugendbericht, dass politische Bildung einen maßgeblichen Beitrag dazu leistet, politische Teilhabe zu qualifizieren und zu erweitern. Zur Erhöhung der politischen Beteiligung und Repräsentanz von Menschen mit Migrationshintergrund ist eine weitere Stärkung und Förderung der Angebote politischer Bildung für und von Menschen mit Migrationsbiografien, People of Color und postmigrantischer Akteurinnen und Akteure erforderlich.“

Die heute im Rahmen des 13. Integrationsgipfels der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel vorgestellte Studie des SVR-Forschungsbereichs „Mitten im Spiel – oder nur an der Seitenlinie? Politische Partizipation und zivilgesellschaftliches Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland“ untermauert dies mit Zahlen aus dem SVR-Integrationsbarometer, einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage im Themenbereich Migration und Integration: Laut Integrationsbarometer 2020 sind 30 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund Mitglied in einem Verein oder einer gemeinnützigen Organisation, bei den in Deutschland mit einem Migrationshintergrund Geborenen sind es sogar 45 Prozent (Personen ohne Migrationshintergrund: 55,5 Prozent). Gut ein Fünftel aller Befragten mit Migrationshintergrund (22,2 Prozent) engagiert sich außerhalb von Vereinen ehrenamtlich (ohne Migrationshintergrund: 39,6 Prozent). Diese Teilhabeunterschiede lassen sich nicht zuletzt durch sozioökonomische Faktoren erklären, denn Menschen mit Migrationshintergrund gehören häufiger der Gruppe mit geringen Einkommen und niedrigen Bildungsabschlüssen an. Doch auch migrationsbezogene Faktoren spielen eine Rolle. So zeigen die Analysen der Studie, dass insbesondere für informelle zivilgesellschaftliche Beteiligungsformen gute deutsche Sprachkenntnisse förderlich sind.

Unter den Befragten mit Migrationshintergrund sind nur rund 10 Prozent außerhalb von Wahlen politisch aktiv, etwa durch die Unterstützung von Petitionen oder die Teilnahme an politischen Diskussionen oder Demonstrationen. Deutlich höher ist die Quote bei in Deutschland geborenen Nachkommen von Zugewanderten: Von ihnen sind gut ein Fünftel (20,8 Prozent) außerhalb von Wahlen politisch aktiv, das entspricht fast dem Anteil der Menschen ohne Migrationshintergrund (24,2 Prozent).

Die Studie widmet sich auch den Faktoren, die politische Partizipation begünstigen oder fördern können. Hier werden insbesondere die Zusammenhänge zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und der politischen Partizipation – sei es durch Wahlteilnahme oder auf andere Art – untersucht. Dabei zeigt sich: Wer zivilgesellschaftlich engagiert ist, geht – sofern sie oder er die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt – mit höherer Wahrscheinlichkeit wählen oder beteiligt sich anderweitig politisch, insbesondere wenn das Engagement formalisiert (also vereinsgebunden) ist und regelmäßig bzw. sogar in verschiedenen Kontexten stattfindet. Prof. Bendel: „Grundsätzlich gilt: Wer sich zivilgesellschaftlich engagiert, ist auch politisch aktiver. Wir raten der Politik und den Akteuren der Zivilgesellschaft, dies im Interesse der demokratischen Bürgergesellschaft und des sozialen Zusammenhalts im Rahmen der politischen Bildung, der Integrationspolitik sowie der Engagementpolitik zu berücksichtigen. Beispielsweise könnte eine weitere Öffnung des Bundesfreiwilligendienstes hilfreich sein, nicht zuletzt weil die Bereitschaft zu freiwilligem Engagement unter den Menschen mit Migrationshintergrund sogar höher ist als bei der restlichen Bevölkerung.“

Unter diesem Link können Sie die Studie einsehen und herunterladen.

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Die im Dezember 2020 finalisierte Studie des SVR-Forschungsbereichs ist Teil des Projekts „BePart – Teilhabe beginnt vor Ort!“, das federführend von Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung durchgeführt wird. „BePart“ wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration sowie der Bundeszentrale für politische Bildung/ bpb gefördert.

Ihre Ansprechpartnerin für Medienanfragen:
Dr. Margret Karsch

Kommunikation SVR gGmbH
Mobiltelefon: 01 70 6 35 71 64,
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Über den Sachverständigenrat

Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Petra Bendel (Vorsitzende), Prof. Dr. Daniel Thym (Stellvertretender Vorsitzender), Prof. Dr. Viola B. Georgi, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Prof. Dr. Steffen Mau, Prof. Panu Poutvaara, Ph.D., Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger und Prof. Dr. Hans Vorländer.

Der wissenschaftliche Stab unterstützt den Sachverständigenrat bei der Erfüllung seiner Aufgaben und betreibt darüber hinaus eigenständige, anwendungsorientierte Forschung im Bereich Integration und Migration. Er setzt die Arbeit des Forschungsbereichs beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR-Forschungsbereich) fort, der bis Ende 2020 von der Stiftung Mercator grundfinanziert wurde. Dabei folgt er unterschiedlichen disziplinären und methodischen Ansätzen. Die Forschungsergebnisse werden u. a. in Form von Studien, Expertisen und Policy Briefs veröffentlicht.

Weitere Informationen unter: www.svr-migration.de