Pressemitteilung - Sachverständigenrat

Asylrechtsreform: Positive Ansätze, aber auch kritische Punkte

SVR sieht positive Ansätze bei der geplanten Reform des Asylrechts: Eine beschleunigte Entscheidung von Asylanträgen ist im Interesse der Flüchtlinge und des Staates. Frühe Integration von Flüchtlingen mit guter Bleibeperspektive ist der richtige Weg. Für diesen Personenkreis empfiehlt der SVR, die Vorrangprüfung auszusetzen, um die Aufnahme einer Arbeit zu vereinfachen. Arbeitsvisa auch für Geringqualifizierte aus Balkanstaaten sieht der Sachverständigenrat hingegen kritisch. Für die Integration junger Flüchtlinge ist entscheidend, dass die Bildungseinrichtungen in die Lage versetzt werden, Spracherwerb und Förderung sicherzustellen. Jetzt ist stärkerer Fokus auf Bildungsfragen notwendig.

Berlin, 30. September 2015. Der Gesetzentwurf zur Reform des Asylrechts, auf den sich Bund und Länder verständigt haben, enthält eine Reihe von positiven Ansätzen, aber auch Punkte, die kritisch zu bewerten sind. Positiv ist aus Sicht des SVR der Politikwechsel hin zu einer frühen Integration von Flüchtlingen mit guter Bleibeperspektive. „Das ist ein richtiger Schritt. Die Möglichkeit für Asylbewerber, an Integrationskursen teilzunehmen, verbessert die Integrationschancen. Dafür hat sich der SVR seit langem eingesetzt“, sagte Prof. Dr. Christine Langenfeld, Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Damit die Integration von schutzbedürftigen Flüchtlingen von Anfang an gelingt, sollten sie so schnell wie möglich Deutsch lernen können und ihre Integration in den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. „Die Mittel für die Integrationskurse und berufsbezogenen Sprachkurse müssen bedarfsgerecht bemessen werden. Hier früh zu investieren, zahlt sich aus“, sagte Langenfeld. Zudem sollten bestehende Qualifikationen schneller als bisher ermittelt und die Anerkennung von Berufsabschlüssen eingeleitet und entbürokratisiert werden. Angesichts der sehr guten Lage am Arbeitsmarkt empfiehlt der SVR, die Vorrangprüfung für Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive auszusetzen. Dies vereinfache die Aufnahme einer Arbeit. Schließlich sollte klargestellt werden, dass für Flüchtlinge während einer beruflichen Ausbildung unabhängig vom Ausgang des Asylverfahrens Aufenthaltssicherheit besteht. Dies ist auch aus Sicht potenzieller Ausbildungsbetriebe essentiell.

Von zentraler Bedeutung ist die Integration junger Flüchtlinge. „Hier sind die Bundesländer, Kommunen und Bildungseinrichtungen stark gefordert. Die bisherige Debatte bildet die Dringlichkeit der Bildungsfrage noch nicht hinreichend ab“, sagte Langenfeld. „Die Kinder müssen schnell eingeschult werden, die Sprache lernen und den Anschluss an den regulären Unterricht schaffen“, sagte Langenfeld. „Flüchtlingskinder im Vorschulalter haben einen Rechtsanspruch auf Betreuung, doch es muss auch dafür gesorgt werden, dass die Kinder auch tatsächlich eine Kita besuchen können.“ Hier sei jeder Euro gut angelegt. „Die Integration junger Flüchtlinge kann nur gelingen, wenn die Bildungseinrichtungen in die Lage versetzt werden, Spracherwerb und Förderung sicherzustellen“, sagte Langenfeld. Jungen Flüchtlingen müsse auch eine Ausbildung ermöglicht werden. Zudem sei eine adäquate und kompetente Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge sicherzustellen. Die Umsetzung der einschlägigen Regelungen der EU-Aufnahmerichtlinie müsse jetzt schnell erfolgen.

Positiv bewertete Langenfeld die weitere Aufstockung des Personals beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, um eine beschleunigte Bearbeitung von Asylanträgen zu ermöglichen. Es sollten darüber hinaus bestehende Möglichkeiten geprüft werden, ob für Flüchtlinge aus Syrien und dem Nordirak, aber auch aus anderen Staaten mit sehr hohen Schutzquoten, nach der Identitätsfeststellung kollektive Anerkennungen ausgesprochen werden können. Damit würde das individuelle Asylverfahren entlastet bzw. für diese Gruppen ersetzt.

Auch ein vorübergehender pragmatischer Umgang mit Abweichungen von bauplanungsrechtlichen Standards bei Flüchtlingsunterkünften sei in der jetzigen Lage geboten, um eine winterfeste Unterbringung der Flüchtlinge sicherzustellen. Die zusätzlichen Mittel für den sozialen Wohnungsbau sind zu begrüßen, um mehr preiswerten Wohnraum zu schaffen und die Konkurrenz um bezahlbare Wohnungen in Grenzen zu halten. „Das ist auch für die langfristige Akzeptanz der Aufnahme von Flüchtlingen von großer Bedeutung“, sagte Langenfeld.

„Die andere Seite der Medaille ist, dass wir nur denjenigen Schutz gewähren können, die auch wirklich schutzbedürftig sind, weil sie politisch verfolgt werden oder vor einem Bürgerkrieg oder Terror fliehen“, sagte Langenfeld. Die Ausweitung der ‚sicheren Herkunftsländer‘ auf Albanien, Kosovo und Montenegro mache dies noch einmal deutlich. „Die Menschen fliehen von dort in aller Regel vor Armut und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit. Individuell ist das verständlich, das Asylrecht ist für diese Gruppe allerdings der falsche Weg“, so Langenfeld. Hier müssten andere Wege gefunden werden, um den Menschen Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Positiv ist die nun geschaffene Möglichkeit für Angehörige der Westbalkanstaaten (Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Kosovo, Albanien und Montenegro), in Deutschland eine Berufsausbildung zu absolvieren. Kritisch sieht der SVR allerdings die geplanten Arbeitsvisa für Bürger dieser Staaten. Diese Sonderregelung für eine bestimmte Gruppe von Staatsangehörigen ermöglicht die Arbeitsmigration nach Deutschland unabhängig von der persönlichen Qualifikation der Antragsteller. Voraussetzung ist lediglich ein Arbeitsvertrag mit Tariflohn bzw. Mindestlohn und eine positive Vorrangprüfung. „Das wird auch dazu führen, dass zusätzliche geringqualifizierte Arbeitskräfte nach Deutschland kommen“, mahnte Langenfeld. „Dabei sind schon jetzt unter Langzeitarbeitslosen, EU-Zuwanderern und den Flüchtlingen viele gering Qualifizierte, die einen Job suchen bzw. suchen werden.“

Der SVR empfiehlt daher, an der bisherigen Linie festzuhalten, wonach eine Zuwanderung für Fachkräfte und Hochqualifizierte aus Drittstaaten möglich ist. Sinnvoll wäre außerdem, die bestehenden Regelungen zur Arbeitssuche für nicht-akademische Fachkräfte zu öffnen und diese sowie andere bestehende Zuwanderungswege – etwa den Aufenthalt zur Nachqualifizierung bei vorhandener Teilqualifikation – als aussichtsvolle Alternativen zur Asylmigration in den Staaten des Westbalkan besser bekannt zu machen. Auch ein stärkeres politisches und wirtschaftliches Engagement ist wichtig, um potenziell Auszubildende und Arbeitskräfte mit deutschen Arbeitgebern in Verbindung zu bringen. Zu fordern sind auch Initiativen zur wirtschaftlichen Entwicklung des Westbalkan sowie der Ausbau zusätzlicher temporärer Migrationswege.

Die im Gesetzespaket enthaltenen Maßnahmen zur Vermeidung von potenziellen Fehlanreizen für das Stellen von Asylanträgen sollten nach Auffassung des SVR auf ihre Praktikabilität und Wirksamkeit überprüft werden. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeit, das für den persönlichen Bedarf vorgesehene „Taschengeld“ in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften durch Sachleistungen zu ersetzen. Ob diese Regelung überhaupt die gewünschte Wirkung erzielt, sollte Gegenstand der geplanten Überprüfung der Maßnahmen zum 30. Juni 2016 sein.

Bedauerlich ist aus Sicht des SVR, dass noch keine Einigung für eine bundesweite Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge erzielt werden konnte. Mit der Gesundheitskarte erhalten Flüchtlinge im ersten Jahr weiterhin nur die eingeschränkten medizinischen Leistungen wie sie das Asylbewerberleistungsgesetz vorsieht. Sie können aber bei akuten Krankheiten direkt einen Arzt aufsuchen, der bürokratische Umweg über die Sozialbehörde entfällt. Die Bundesländer Hamburg und Bremen, die eine solche Gesundheitskarte bereits vor Jahren eingeführt haben, haben gute Erfahrungen damit gemacht. Die Gesundheitskarte verringert Bürokratie, spart Verwaltungskosten und erleichtert Flüchtlingen den Zugang zur Gesundheitsversorgung. Daher wäre es wünschenswert, dass möglichst viele Länder die Gesundheitskarte einführen.

Flankierend zu den gesetzlichen Änderungen des Asylrechts in Deutschland sind auf europäischer und internationaler Ebene weitere Anstrengungen erforderlich: diplomatische Bemühungen, den Syrienkonflikt zu beenden, eine bessere Versorgung der Flüchtlinge in der Krisenregion, die Ausweitung von Resettlement-Programmen, die Flüchtlingen den gefährlichen Fluchtweg ersparen, und eine gerechtere Verteilung von schutzbedürftigen Flüchtlingen innerhalb der EU. Insbesondere eine faire Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Mitgliedstaaten kann die Akzeptanz für die Aufnahme von Flüchtlingen in der Bevölkerung stärken. Es bleibt eine vordringliche Aufgabe für die Politik, im Dialog mit der Bevölkerung immer wieder für die Aufnahme von Schutzsuchenden und für die Maßnahmen zur Integration dieser Menschen zu werben.

Die Pressemitteilung können Sie hier herunterladen:
PM SVR zur Asylrechtsreform

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 Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören sieben Stiftungen an. Neben der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung sind dies: Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und Vodafone Stiftung Deutschland. Der Sachverständigenrat ist ein unabhängiges und gemeinnütziges Beobachtungs-, Bewertungs- und Beratungsgremium, das zu integrations- und migrationspolitischen Themen Stellung bezieht und handlungsorientierte Politikberatung anbietet. Die Ergebnisse seiner Arbeit werden in einem Jahresgutachten veröffentlicht.

Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Christine Langenfeld (Vorsitzende), Prof. Dr. Ludger Pries (Stellvertretender Vorsitzender) sowie Prof. Dr. Gianni D’Amato, Prof. Dr. Thomas K. Bauer, Prof. Dr. Wilfried Bos, Prof. Dr. Claudia Diehl, Prof. Dr. Heinz Faßmann, Prof. Dr. Christian Joppke und Prof. Dr. Hacı Halil Uslucan.