Pressemitteilung – Sachverständigenrat

SVR bewertet geplante Entfristung der Wohnsitzregelung aufgrund noch fehlender Evidenz zu ihren Effekten kritisch und mahnt vorherige Evaluierung an

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) weist darauf hin, dass bislang kaum empirische Evidenz zu den Effekten der Wohnsitzauflage vorliegt. Wohnsitzauflagen können zwar dazu beitragen, die Rahmenbedingungen für erfolgreiche Integration zu verbessern, beschränken jedoch auch erheblich die Freizügigkeit von international schutzberechtigten bzw. anderweitig aus humanitären Gründen aufgenommenen Personen. Vor dem Hintergrund der bislang ambivalenten sozialwissenschaftlichen Befunde betrachtet der SVR die im Koalitionsvertrag vereinbarte Evaluierung als unabdingbare Voraussetzung einer Entfristung.

Berlin, 12. April 2019. Im Herbst 2015 waren innerhalb kurzer Zeit außergewöhnlich viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Nach Anerkennung als Schutzberechtigte konnten diese damals ihren Wohnort frei wählen. Es bestand die nachvollziehbare Sorge bei Bund, Ländern und Kommunen, dass sie vor allem in die Großstädte und die Ballungszentren Westdeutschlands ziehen würden und dadurch der Integrationsprozess beeinträchtigt würde. Aufgrund dessen führte die Bundesregierung mit dem Integrationsgesetz ab dem 6. August 2016 eine auf drei Jahre befristete Wohnsitzregelung (§ 12a AufenthG) ein. Die Norm begründet für anerkannte Flüchtlinge u. a. eine gesetzliche Verpflichtung zur Wohnsitznahme im Bundesland der Erstzuweisung, wenn keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt (also bei einer wöchentlichen Beschäftigungsdauer von unter 15 Stunden bzw. einem dadurch erzielten Einkommen unterhalb des monatlichen durchschnittlichen Bedarfs für eine Einzelperson gemäß SGB II). Außerdem eröffnet sie den Ländern die Möglichkeit, auch innerhalb des Landes ortsbezogene Wohnsitzauflagen zu verhängen, die jeweils integrationspolitisch begründet werden müssen. Die Mehrzahl der Länder hat entsprechende Regelungen getroffen. Mit der Wohnsitzauflage zielte der Bund u. a. darauf ab, die Kommunen durch Planungssicherheit zu unterstützen und sie ggf. zu entlasten, damit sie die Flüchtlingsaufnahme besser organisieren konnten und die Integration besser gelingt.

Der Bundesrat berät heute über den Entwurf eines Gesetzes zur Entfristung der Wohnsitzregelung im Integrationsgesetz. Der SVR hat sich mit der Wohnsitzauflage bereits in seinem Jahresgutachten 2017 auseinandergesetzt. Als ein zeitlich befristetes Instrument in Zeiten starken Zuzugs befand er sie für vertretbar. Allerdings betonte er auch, dass Einschränkungen der Bewegungsfreiheit eigentlich vermieden werden sollen. Dass anerkannte Flüchtlinge in bestimmte Kommunen ziehen bzw. dort bleiben, sollte vielmehr durch attraktive Lebensbedingungen gesteuert werden. Der SVR hat es daher begrüßt, dass das Instrument laut Koalitionsvertrag von März 2018 evaluiert werden sollte. Eine solche wissenschaftliche Evaluation, die die Auswirkungen der Wohnsitzauflage auf die Integration der Betroffenen umfassend untersucht, liegt allerdings bisher nicht vor. Angesichts der gesunkenen Zuzugszahlen und des noch fehlenden wissenschaftlichen Nachweises, ob die Wohnsitzauflage Integration fördert oder vielleicht sogar behindert, spricht der SVR sich dagegen aus, die in Zeiten eines hohen Flüchtlingszuzugs eingeführte befristete Wohnsitzauflage zu entfristen und damit dauerhaft gesetzlich zu verankern.

„Planbarkeit der Integrationsangebote und Vermeidung von Segregation sind wichtige Ziele. Allerdings ist zugleich die integrationsförderliche Wirkung der Maßnahme zentral für ihre Begründung. Daher ließe sich allenfalls darüber nachdenken, die am 6. August 2019 außer Kraft tretende Wohnsitzregelung um weitere zwei Jahre zu verlängern“, so der SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Thomas Bauer. Der aktuelle Entwurf der Bundesregierung enthält – anders als noch der Referentenentwurf – die Festlegung in der Begründung (Kap. VII), dass das Gesetz unter Einbeziehung externen wissenschaftlichen Sachverstands evaluiert wird. Dabei soll die Frage im Fokus stehen, inwiefern die Wohnsitzregelung die nachhaltige Integration der von der Regelung erfassten Personen fördert. „Das ist ausdrücklich zu begrüßen“, so Professor Bauer, „allerdings ist aus Sicht des SVR eine Verlängerung der Auflage mit anschließender Evaluation einer Entfristung vor Evaluation vorzuziehen.“

Prof. Bauer empfiehlt: „In die externe, wissenschaftliche Evaluierung sollten neben den Erfahrungen der Verwaltungen von Bund und Ländern auch Einschätzungen der Kommunen, der Sozialpartner sowie der schulischen, außerschulischen, beruflichen und universitären Bildungsträger einbezogen werden.“ So werde aus dem Hochschulbereich berichtet, dass sich studieninteressierte Flüchtlinge durch Wohnsitzauflagen mitunter Hürden ausgesetzt sehen, etwa wenn sie Beratungsangebote durch die Hochschulen wahrnehmen oder an Studienvorbereitungskursen teilnehmen wollen.

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Über den Sachverständigenrat

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören sieben Stiftungen an. Neben der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung sind dies: Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stifterverband und Vodafone Stiftung Deutschland. Der Sachverständigenrat ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Expertengremium, das zu integrations- und migrationspolitischen Themen Stellung bezieht und handlungsorientierte Politikberatung anbietet. Die Ergebnisse seiner Arbeit werden in einem Jahresgutachten veröffentlicht.

Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Thomas K. Bauer (Vorsitzender), Prof. Dr. Petra Bendel (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Hacı Halil Uslucan (Stellvertretender Vorsitzender), Prof. Dr. Claudia Diehl, Prof. Dr. Viola B. Georgi, Prof. Dr. Christian Joppke, Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger, Prof. Dr. Daniel Thym und Prof. Dr. Hans Vorländer.