Sichere Herkunftsstaaten: SVR empfiehlt, Beschränkung des Asylwegs mit Öffnung des Arbeitsmarkts zu verbinden

Um Flucht- und Arbeitsmigration stärker zu entflechten, möchte die Bundesregierung weitere Herkunftsländer als sicher einstufen. Der SVR unterstützt grundsätzlich die Idee, Zuwanderung in die dafür gedachten Kanäle zu lenken. Um dieses Ziel zu erreichen, empfiehlt der SVR jedoch, Zuwanderungswilligen aus Ländern mit sehr niedrigen Anerkennungsquoten nicht nur zu signalisieren, dass der Asylweg für sie der falsche Weg ist, sondern ihnen auch legale Zuwanderungsoptionen zu eröffnen.

Berlin, 27. März 2019. Das Vorhaben der Bundesregierung, Algerien, Marokko, Tunesien und Georgien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, ist ins Stocken geraten: Nachdem der Bundestag dem Gesetzentwurf Mitte Januar zustimmte, hat der Bundesrat die Abstimmung im Februar vertagt, da sich keine Mehrheit abzeichnete. Der SVR besitzt keine länderspezifische Kompetenz, um die sicherheitspolitische Lage in den genannten Ländern beurteilen zu können, und bezieht deshalb keine Stellung zur Einstufung einzelner Staaten als sichere Herkunftsländer. Er unterstützt jedoch grundsätzlich das Ziel der Bundesregierung, Zuwanderung in die dafür gedachten Kanäle zu lenken. Herkunftsländer als sicher zu deklarieren, ist eine asylpolitische Maßnahme, um Menschen aus Staaten mit sehr niedrigen Anerkennungsquoten von einem aussichtslosen Asylantrag abzuhalten. Dadurch könnten Menschen davon abgehalten werden, aufgrund unrealistischer Erwartungen den teils lebensgefährlichen Weg nach Deutschland zu suchen. Eine entsprechende staatliche Steuerung trägt zudem dazu bei, das Asylsystem zu entlasten und die grundsätzliche Bereitschaft der heimischen Bevölkerung zu erhalten, Schutzsuchende in Deutschland aufzunehmen.

Damit Menschen den für ihre jeweiligen Ziele gestalteten Weg nach Deutschland einschlagen, reicht es jedoch nicht aus, einseitig den Asylweg zu beschränken; vielmehr müssen gleichzeitig andere legale Zuwanderungsmöglichkeiten geschaffen werden. „Wenn Personen mit geringen Bleibechancen für den Weg des Asyls ein schlichtes ‚Nein‘ signalisiert wird, greift das als Steuerungsansatz zu kurz“, so der SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Thomas Bauer. „Vielversprechender ist eine Politik des ‚Nein, aber …‘, mit der diesen Menschen beides signalisiert wird: dass für sie ein Asylverfahren wenig aussichtsreich ist und dass ihnen andere Wege offenstehen. Ein Beispiel für eine solche Politik ist die sogenannte Westbalkan-Regelung in Kombination mit der Aufnahme dieser Staaten auf die Liste sicherer Herkunftsländer.“ Über die ‚Westbalkan-Regelung‘ können Personen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, dem Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien unabhängig von ihrer Qualifikation nach Deutschland einreisen und eine Beschäftigung aufnehmen. Voraussetzungen dafür sind ein vorliegender Arbeitsvertrag, die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit und dass die Person in den letzten zwei Jahren keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten hat.

Allerdings warnt Prof. Bauer: „Die sogenannte Westbalkan-Regelung kann nicht einfach als Blaupause dienen und eins zu eins auf die Maghreb-Staaten übertragen werden.“ Zum einen bestehen – anders als bei Staatsangehörigen der Westbalkanstaaten – kaum ethnische Netzwerke, die zwischen deutschen Unternehmen und zuwanderungsinteressierten Arbeitskräften vor allem aus den Maghreb-Ländern vermitteln können. Zum anderen können nicht schutzbedürftige Personen weitgehend problemlos in die Westbalkanländer zurückgeführt werden, wodurch sich eine Zuwanderung über das Asylrecht für sie kaum lohnt. Dies ist bei anderen Ländern längst noch nicht der Fall. Solange eine Rückführung nicht regelmäßig erfolgt, bleibt die Einreise über den Weg des Asylantrags attraktiv.

Um auf das Interesse der Herkunftsstaaten und ihrer Bürgerinnen und Bürger an Zuwanderungsmöglichkeiten nach Deutschland eine migrationspolitische Antwort zu geben, ist nach Ansicht des SVR ein Ansatz mit mehreren Komponenten zu erwägen, der für verschiedene Qualifikationsgruppen unterschiedliche Optionen bietet: Denkbar wäre es z. B., Stipendienprogramme für Studierende einzurichten und Unternehmen die Möglichkeit zu geben, Angehörige der betreffenden Staaten als Saisonarbeitskräfte anzuwerben. Durch die gezielte Öffnung ließe sich auch ein vorhandener Bedarf am deutschen Arbeitsmarkt decken.

Weitere Zuzugsoptionen für beruflich Qualifizierte würde zudem das von der Bundesregierung in den Bundestag eingebrachte Fachkräfteeinwanderungsgesetz eröffnen. „Solche legalen Kanäle sind sehr zu begrüßen“, so der SVR-Vorsitzende. Dies gelte umso mehr, als die wünschenswerte Entflechtung von Zuwanderung, zu der die Erklärung eines Herkunftsstaates als sicher beitragen soll, mit nicht unerheblichen Einschränkungen für die betroffenen Personen einhergeht. Sie sind von Integrationskursen ausgeschlossen und für sie gilt ein absolutes Beschäftigungsverbot. „Eine überzeugende staatliche Steuerung verbindet Klarheit gegenüber denen, für die Asyl nicht der richtige Weg ist, mit gezielten Angeboten für diejenigen, für die Zuwanderung zum Zweck der Bildung oder Erwerbstätigkeit eine Alternative ist.“

Der SVR ist dafür eingetreten, den Bedarf besonders vulnerabler Gruppen aus sicheren Herkunftsländern durch eine spezielle Rechtsberatung zu berücksichtigen. Er begrüßt daher, dass der ursprüngliche Gesetzentwurf durch den Bundestag um eine Passage ergänzt worden ist, die einen Zugang für bestimmte Gruppen (bspw. Opfer von Folter) zu einer speziellen Rechtsberatung vorsieht.

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Über den Sachverständigenrat

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Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Thomas K. Bauer (Vorsitzender), Prof. Dr. Petra Bendel (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Hacı Halil Uslucan (Stellvertretender Vorsitzender), Prof. Dr. Claudia Diehl, Prof. Dr. Viola B. Georgi, Prof. Dr. Christian Joppke, Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger, Prof. Dr. Daniel Thym und Prof. Dr. Hans Vorländer.

 

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