Veranstaltungen – Sachverständigenrat

„Das Ankommen gestalten: Zuwanderung von Fachkräften in den Gesundheits- und Pflegeberufen“

Fachgespräch zum SVR-Jahresgutachten 2022 am 27. September 2022 in Stuttgart

Gemeinsam mit der Robert Bosch Stiftung und der Freudenberg Stiftung lud der SVR am 27. September Expertinnen und Experten aus Baden-Württemberg zu einem regionalen Fachgespräch nach Stuttgart ein. Prof. Dr. Petra Bendel, Vorsitzende des SVR, stellte hierbei das aktuelle Jahresgutachten „Systemrelevant: Migration als Stütze und Herausforderung für die Gesundheitsversorgung in Deutschland“ vor.


In ihrem Vortrag erläuterte Prof. Dr. Bendel zunächst, dass Fachkräfte mit Migrationshintergrund einen essentiellen Beitrag zur Gesundheitsversorgung in Deutschland leisten. Fast ein Viertel aller Erwerbstätigen in den Gesundheits- und Pflegeberufen hatte 2019 eine eigene oder familiäre Einwanderungsgeschichte. Ein Großteil dieser Menschen ist selbst zugewandert.  Besonders hoch ist der Anteil in der Altenpflege und unter Ärztinnen und Ärzten. Um die Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen zu verbessern, forderte sie einen Effizienz- und Transparenzschub bei den Verfahren. Zudem stellte sie die Empfehlung des SVR vor, verstärkt Auszubildende anzuwerben, um umfangreiche Anpassungsqualifizierungen und Transferprobleme zu umgehen. Sie unterstrich, dass bei der Rekrutierung aus dem Ausland Fairness gegenüber den Zuwandernden ebenso wie gegenüber deren Herkunftsländern gewahrt werden müsse. Außerdem müsse die Integration zugewanderter Fachkräfte in den Einrichtungen und am neuen Wohnort stärker mitgedacht und unterstützt werden.

Frau Dr. Sarah Fuchs, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Freudenberg Stiftung, kommentierte, dass viele Punkte und Herausforderungen aus dem SVR-Jahresgutachten sich in der Stiftungsarbeit widerspiegelten. In ihrer Arbeit stehe vor allem die soziale Integration im Vordergrund. Aus ihrer Erfahrung ist daher zentral, dass Diskriminierung und Benachteiligung von zuwandernden Fachkräften entschieden entgegengewirkt werden muss, wenn man das Ankommen von Fachkräften dauerhaft gut gestalten will. Auch die Familien müssten berücksichtigt werden. Den Bildungseinrichtungen komme hier eine wichtige Rolle zu. Die Freudenberg Stiftung setze an beiden Bereichen mit Projekten an. Sie wies darauf hin, dass Fachkräfte mit Zuwanderungsgeschichte nicht nur den Personalmangel linderten, sondern selbst einen zentralen Beitrag zur diversitätssensiblen Gesundheitsversorgung leisten. Dass Diversität sich auch in den Leitungspositionen widerspiegeln müsse, sei auch ein Postulat der demokratischen Gesellschaft.

Dr. Ferdinand Mirbach, Senior Experte im Bereich Einwanderungsgesellschaft der Robert Bosch Stiftung unterstrich, dass sowohl betriebliche als auch gesellschaftliche Integration von Bedeutung sei. Hierzu benötige es eine Willkommenskultur, die auf die Bedürfnisse der Neuzugewanderten eingehe. Die Robert Bosch Stiftung versuche auf solche Bedarfe zu reagieren. So unterstütze die Stiftung Kooperationen zwischen der etablierten Wohlfahrt und von Migrantenorganisationen, von denen profitierten beide Seiten und das System insgesamt werde diversitätssensibler. Menschen mit Zuwanderungsgeschichte seien aber nicht nur Leistungsträgerinnen und –träger im Gesundheitssystem, sondern auch Leistungsempfänger. Hier dürfe der chancengerechte Zugang zum Gesundheitssystem nicht an Diskriminierung scheitern. Dafür müsse sich eine heterogene Einwanderungsgesellschaft auf allen Ebenen einsetzen.


Die anschließende vertrauliche Diskussion mit den Teilnehmenden aus Politik, Wissenschaft, Kommunen, Wirtschaft, Verbänden und Zivilgesellschaft wurde von der SVR-Geschäftsführerin Dr. Cornelia Schu moderiert.

In der Diskussion wurde einhellig betont, dass eine gelungene Integration neben der betrieblichen auch die soziale Integration umfasst. Zu einem zufriedenstellenden Leben gehörten neben dem Beruf auch passender Wohnraum, Kita- und Schulplätze oder Anknüpfung an den öffentlichen Nahverkehr, um das familiäre Ankommen zu erleichtern. Dieses gehe über die Gewinnung von Fachkräften weit hinaus und sei zentral dafür, dass Personen dann auch dauerhaft bleiben wollen. Dafür müssten auch die Arbeitsbedingungen attraktiv sein.

Diskutiert wurde auch der administrative Optimierungsbedarf: Wünschenswert wäre es, wenn sich die zuständigen Stellen besser koordinierten und enger zusammenarbeiten. Ebenso könne eine verbesserte Digitalisierung eine wichtige Stütze im Anerkennungs- und Integrationsprozess sein. Zu lange dauernde Verfahren (in Visastellen im Ausland, aber auch bei der Anerkennung im Inland) könnten Frustrationen erzeugen, die gerade Angekommene eher dazu bewegt, das Land wieder zu verlassen und sich bspw. im Europäischen Ausland vielversprechendere Alternativen zu suchen. Einigkeit bestand darin, dass hier der Anerkennungsberatung eine große Bedeutung zukommt. Nicht unterschätzt werden dürfe die Herausforderung des Spracherwerbs. Hier gelte es früh anzusetzen. Hierzu die Vorintegration im Heimatland zentral. In Deutschland selbst dürfe man nicht allein den Fachspracherwerb im Auge behalten, auch die Alltagssprache sei wichtig.

Der Gefahr, dass Anwerbung im Ausland zu einem Brain Drain dort führen könne, müsse begegnet werden, hoben einige Teilnehmende mit Bezug auf den Vortrag von Prof. Bendel hervor. Dies gelte auch für EU-Mitgliedsstaaten wir Rumänien oder Bulgarien. Einige Teilnehmende wiesen darauf hin, dass auch die Bevölkerung insgesamt zu berücksichtigen sei. Es gebe durchaus auch Skepsis gegenüber zugewanderten Fachkräften im Gesundheitsbereich. Damit diese nicht in Diskriminierung münde, müsse das System entsprechend ertüchtigt werden.

Präsentation Fachgespräch Stuttgart –
Prof. Dr. Petra Bendel

Markus Lux von der Robert Bosch Stiftung begrüßt
die Teilnehmenden

Prof. Dr. Petra Bendel stellte das aktuelle
SVR-Jahresgutachten vor

Dr. Sarah Fuchs bei ihrem Kommentar aus Sicht
der Freudenberg Stiftung

Dr. Ferdinand Mirbach bei seinem Kommentar
aus Sicht der Robert Bosch Stiftung

Dr. Cornelia Schu, Geschäftsführerin des SVR,
moderiert die anschließende Diskussion

Fotos: Robert Thiele / Robert Bosch Stiftung