Pressemitteilung – Sachverständigenrat

SVR befürwortet wirksame Rückkehrpolitik, hegt aber Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit einiger der vorgeschlagenen Mittel

Grundsätzlich unterstützt der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) das von der Regierung mit dem geplanten „Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ verfolgte Ziel, den Vollzug der Ausreisepflicht zu verbessern. Das geplante Gesetz setzt allerdings einseitig auf Pflichten der vollziehbar Ausreisepflichtigen. Flankierend muss die Zusammenarbeit von Bund und Ländern sowie mit den Herkunftsländern verbessert werden. Die Gerichte werden darauf zu achten haben, dass die Abschiebungshaft gemäß den Vorgaben der europäischen Rückführungsrichtlinie und des Grundgesetzes nur nach richterlicher Einzelfallprüfung angewandt wird und wenn keine milderen Mittel zur Verfügung stehen.

Berlin, 16. Mai 2019. Erstmals steht der Regierungsentwurf für das sog. Geordnete-Rückkehr-Gesetz auf der Tagesordnung von Bundestag und Bundesrat. Es soll die Rückführung von abgelehnten Asylbewerberinnen und -bewerbern verbessern. Das Gesetz setzt dabei vor allem bei zwei Gruppen von vollziehbar Ausreisepflichtigen an: Künftig sollen Personen, deren Abschiebung nicht vollzogen werden kann, weil sie über ihre Identität getäuscht haben oder an der Passbeschaffung nicht mitwirken, eine „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ mit daran anknüpfenden Sanktionsvorschriften erhalten. Bei „unmittelbar“ Ausreisepflichtigen sollen Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam verhindern, dass sie sich am Abschiebungstag dem polizeilichen Zugriff entziehen. Die Inhaftnahme soll befristet auch in Justizvollzugsanstalten möglich sein.

Für die Rückkehrpolitik sind aus Sicht des SVR zwei Überlegungen handlungsleitend: Der Staat muss die Einhaltung der Ausreisepflicht gewährleisten, schon allein um die Glaubwürdigkeit seiner Migrationspolitik (und hier v. a. seiner Asyl- und Flüchtlingspolitik) nicht zu untergraben. Hinsichtlich der Wahl der Mittel besteht allerdings eine klare Präferenz zugunsten der freiwilligen Rückkehr; in diesem Bereich sind verstärkte Anstrengungen von Bund und Ländern nötig. Die Durchsetzung der Ausreisepflicht gehört aber als Ultima Ratio ebenfalls zu einem funktionsfähigen Asylsystem. Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, müssen die Bundesrepublik wieder verlassen. Erfolgt dies nicht freiwillig, ist der Einsatz staatlicher Zwangsmittel gerechtfertigt und angebracht; die bestehenden Defizite im Vollzug der Ausreisepflicht sollten behoben werden. Der SVR unterstützt daher grundsätzlich das mit dem Gesetz verfolgte Ziel. Zweifel bestehen allerdings hinsichtlich der Wirksamkeit einiger im Gesetz dazu vorgeschlagenen Mittel und Instrumente.

Der SVR weist darauf hin, dass die implizite Annahme des Gesetzesentwurfs, die Ursachen für das Scheitern der Rückführungen lägen v. a. bei den Ausreisepflichtigen, bisher nicht hinreichend gesichert ist. „Ein grundlegendes Problem der Rückkehrpolitik liegt in der lückenhaften Datengrundlage“, so Prof. Dr. Thomas Bauer, der Vorsitzende des SVR. „Die Gründe dafür, dass nicht mehr Abschiebungen durchgeführt werden, sind vielfältig. Es greift zu kurz, sie einseitig auf der Seite des Ausreisepflichtigen zu suchen. Hier wird dringend mehr Evidenz benötigt.“ Wenn jemand keinen Pass hat, sind vermutlich in vielen Fällen Probleme bei der Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern die Ursache. Der Anteil derjenigen, bei denen Probleme bei der Beschaffung von Passdokumenten allein oder teilweise auf nicht-kooperatives Verhalten zurückgeführt werden können, ist der Regierung nicht bekannt. Da seit 2015 den Betroffenen der Abschiebungstermin nicht mehr angekündigt wird, kann man zudem nicht automatisch davon ausgehen, dass sie untergetaucht sind, wenn sie an dem Termin nicht am Wohnort angetroffen werden. Der SVR plädiert daher dafür, die Datengrundlage deutlich zu verbessern. Flankierend zum Ansatz bei den Ausreisepflichtigen selbst sollte die Kooperation der staatlichen Stellen in Bund und Ländern verbessert und die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern verstärkt werden. Ohne diese ergänzenden Maßnahmen droht das Gesetz den verfolgten Zweck zu verfehlen.

Die Identität von sich in Deutschland aufhaltenden Personen zu klären, ist ein berechtigtes Anliegen der Bundesregierung; sie sollte dafür Sorge tragen, dass sich Ausreisepflichtige nicht durch fehlende Mitwirkung z. B. bei der Passbeschaffung ihrer Ausreisepflicht widersetzen. Die im Gesetz geplante Sanktionierung von Personen, die aktiv zur Verschleierung ihrer Identität beitragen, bildet die repressive Kehrseite von bspw. im geplanten Gesetz zur Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung vorgesehenen Klauseln, einen aktiven Beitrag zur Identitätsklärung zu honorieren. Auch die bisherige Rechtslage sieht Sanktionen unter gewissen Voraussetzungen vor, etwa ein Arbeitsverbot und eine Wohnsitzauflage. Für Personen mit dem neuen Status „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ soll das Arbeitsverbot künftig grundsätzlich gelten; Zeiten, in denen die Duldung mit ungeklärter Identität bestand, sollen nicht als Vorduldungszeiten bei Bleiberegelungen angerechnet werden. Klärungsbedarf sieht der SVR in der Frage, wann der neue Status der Duldung angewandt werden soll. Prof. Bauer weist darauf hin, dass Fälle, in denen die fehlende Mitwirkung der Ausreisepflichtigen nur ein Nebenaspekt ist, weil vorrangig andere Gründe einer Abschiebung entgegenstehen, ausgeklammert werden sollten. „Andernfalls werden wichtige Chancen der Integration verpasst, wenn sie über einen langen Zeitraum in Deutschland bleiben, weil sie andere Gründe für eine Duldung geltend machen können. Der Integrationsprozess kann dadurch teurer und schwieriger werden.“

Die Abschiebungshaft stellt das letzte Mittel dar, um die Ausreisepflicht durchzusetzen. Dies sollte die Gesetzesbegründung deutlich hervorheben. Bei der Abschiebungshaft muss – gemäß den allgemeinen Grundsätzen des aktuellen EU-Rechts – die Bewertung, ob Fluchtgefahr vorliegt, Ergebnis einer richterlichen Einzelfallprüfung sein. Eine automatische Schlussfolgerung bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale, die Fluchtgefahr begründen oder widerleglich vermuten lassen, verbietet sich. Es sollte zudem evaluiert werden, wie die bestehenden Regelungen und alternative Maßnahmen zur Abschiebungshaft umgesetzt werden. Auch hier fehlen belastbare Informationen – etwa darüber, wie viele Ausreisepflichtige überhaupt für eine Inhaftierung in Frage kommen, wie viele Menschen in den letzten Jahren in Abschiebungshaft genommen wurden und zu welcher Auslastung dies bei den Abschiebungshaftplätzen geführt hat. Diese Zahlen sollten künftig systematisch erhoben werden. Der SVR fordert die Bundesländer und die Bundesregierung auf, zu diesen Zwecken effektiv zusammenzuarbeiten, damit man gemeinsam das Wissen um die Praxis der Abschiebungshaft verbessert.

Kritisch sieht der SVR im Bereich der Abschiebungshaft das Vorhaben, Abschiebungshäftlinge in Strafvollzugsanstalten unterzubringen. Es ist offen, ob die dafür europarechtlich erforderliche Notlage besteht. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie praktikabel der Vorschlag ist, denn die Belegungslage und personelle Ausstattung des Justizvollzugs ist jetzt schon sehr angespannt.

Die detaillierte Stellungnahme des SVR zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (Geordnete-Rückkehr-Gesetz) finden Sie hier.

Die Pressemitteilung können Sie hier herunterladen.

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Dr. Margret Karsch
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Über den Sachverständigenrat

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören sieben Stiftungen an. Neben der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung sind dies: Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stifterverband und Vodafone Stiftung Deutschland. Der Sachverständigenrat ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Expertengremium, das zu integrations- und migrationspolitischen Themen Stellung bezieht und handlungsorientierte Politikberatung anbietet. Die Ergebnisse seiner Arbeit werden in einem Jahresgutachten veröffentlicht.

Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Thomas K. Bauer (Vorsitzender), Prof. Dr. Petra Bendel (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Hacı Halil Uslucan (Stellvertretender Vorsitzender), Prof. Dr. Claudia Diehl, Prof. Dr. Viola B. Georgi, Prof. Dr. Christian Joppke, Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger, Prof. Dr. Daniel Thym und Prof. Dr. Hans Vorländer.