Presseinformation – Sachverständigenrat

Chancen-Aufenthaltsrecht: Stichtagsregelung honoriert Integrationsleistungen von Geduldeten

Die im Gesetzentwurf vorgesehene Stichtagsregelung baut den Zugang zu bestehenden Möglichkeiten der Regularisierung aus und honoriert Integrationsleistungen. Aus Sicht des SVR ist dies eine pragmatische Antwort auf die Fluchtzuwanderung aus den Jahren 2015 und 2016. Nicht zu unterschätzen ist zudem die dauerhafte Absenkung der Wartezeiten und Erhöhung der Altersgrenze für eine Legalisierung des Aufenthalts bei jungen Erwachsenen nach § 25a AufenthG. Damit justiert die Bundesregierung den Zielkonflikt zwischen Migrationssteuerung und Integrationsförderung zu Gunsten der Letzteren.

Berlin, 28. November 2022. Mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht (§ 104c AufenthG) sollen Menschen, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland leben, für ein Jahr lang ein Bleiberecht auf Probe erhalten können. Wenn sie im Anschluss nachweisen können, dass sie ausreichend Deutsch sprechen, mindestens zur Hälfte ihren Lebensunterhalt ohne Sozialleistungen finanzieren und wenn außerdem ihre Identität geklärt ist, erhalten sie eine Aufenthaltserlaubnis. „Diese Stichtagsregelung schafft Chancen für Geduldete und weitere Personen, die genannten Bedingungen für eine nachgelagerte Regularisierung und die entsprechende Aufenthaltserlaubnis nach §§ 25a und 25b AufenthG zu erfüllen. Der Zugang zu diesen schon bestehenden Regelungen wird damit erleichtert. Das ist richtig: Wer Deutsch lernt, Arbeit findet, sich auch sonst gesellschaftlich integriert und straffrei bleibt, sollte eine Bleibeperspektive erhalten – einen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik bedeutet es aber nicht, denn die Regelung bleibt auf diejenigen beschränkt, die 2015 und 2016 als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind“, sagt Prof. Dr. Petra Bendel, Vorsitzende des SVR.

„Hier werden Integrationsleistungen von lange in Deutschland lebenden Geduldeten honoriert – das ist zu begrüßen, denn mit steigender Aufenthaltsdauer und der geringer werdenden Wahrscheinlichkeit der Rückkehr in ihr Herkunftsland sind die integrationspolitischen Argumente mit zunehmendem Zeitverlauf stärker zu gewichten als die migrations- und ordnungspolitischen“, so die SVR-Vorsitzende weiter. Aus diesem Grund hatte der SVR auch die bereits bestehenden Optionen eines nachgelagerten Spurwechsels begrüßt (vgl. SVR-Positionspapier 2017).

Der Zeitraum könnte mit einem Jahr jedoch knapp bemessen sein, gibt Prof. Bendel zu bedenken. „Ist es realistisch, dass die Menschen das geforderte Sprachniveau in einem Jahr erreichen? Auch ein Zugang zum Arbeitsmarkt bestand für einige bisher nicht. Es bleibt daher abzuwarten, wie viele der grundsätzlich in Frage kommenden gut 135.000 Personen nach einem Jahr die Voraussetzungen für einen Daueraufenthalt erfüllen können. Außerdem muss die Umsetzung mitgedacht werden, schließlich erhöht sich durch die neue Option die Komplexität des Bleiberechts. Hier könnte eine schnelle Ergänzung der bundesweiten Anwendungshinweise hilfreich sein.“  

„Von der Wirkung her nicht unterschätzt werden sollte im Vergleich zu dieser stichtagsbezogenen Altfallregelung die dauerhafte Ausweitung bereits bestehender Bleiberechtsregelungen (§§ 25 a, b AufenthG), die auch Teil des Entwurfs ist. Hier ist geplant, die Wartezeiten zu senken“, so der stellvertretende SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Daniel Thym. So sollen Jugendliche und junge Erwachsene bis 27 (und nicht mehr wie bisher bis 21) Jahre, deren Asylantrag abgelehnt wurde, bereits nach drei Jahren bleiben können, wenn sie in dieser Zeit einen Schul- oder Berufsabschluss erworben haben. Diese Regelung gilt auch für alle zukünftigen Fälle. Das bedeutet, dass die Wartezeit für eine Legalisierung für Menschen, die nach 2016 eingereist sind oder dies in der Zukunft tun werden, bereits ab dem Asylgesuch beginnt – und nicht erst mit dem Urteil, das den negativen Asylbescheid bestätigt. Das kann bei einer langen Verfahrensdauer vor den Verwaltungsgerichten, die aktuell mehr als zwei Jahre beträgt, dazu führen, dass die Wartefrist bereits wenige Wochen oder Monate nach dem Zeitpunkt abläuft, an dem der negative Asylbescheid rechtskräftig wurde. „Wenn die Politik verhindern will, dass künftig eine Legalisierung bereits kurz nach der erstmaligen Erteilung einer Duldung möglich ist, muss sie sicherstellen, dass die Asyl- und Klageverfahren schneller werden.“ Ein anderes aktuelles Gesetzgebungsverfahren, zu dem der SVR bereits Stellung bezogen hat, enthält wichtige Ideen, wie man die Verfahren beschleunigen kann (vgl. SVR-Stellungnahme zur Beschleunigung von Asylverfahren zur Beschleunigung von Asylverfahren).   

Der Gesetzentwurf erhöht außerdem die maximale Dauer der Abschiebungshaft von Personen, die schwere Straftaten begangen haben oder als Gefährder bzw. Gefährderin gelten. Ob dies Wirkung entfalten wird, bleibt abzuwarten. „Dies wird nur wenige Einzelfälle betreffen. Die notwendige ordnungspolitische Ergänzung zu den integrationspolitisch motivierten Elementen des Gesetzentwurfs wird daher durch andere Maßnahmen auf Landes- und Bundesebene zu erreichen sein, um die vom Koalitionsvertrag versprochene „Rückführungsoffensive“ umzusetzen. Auf diesem Wege kann die Balance zwischen integrationspolitischen und steuerungspolitischen Elementen gewahrt werden“, ergänzt Prof. Thym.

Die vorgesehene Streichung von Sprachnachweiserfordernissen als Einreisevoraussetzung für die Ehegatten von Fachkräften sollte nicht als Signal missverstanden werden, dass Sprachkenntnisse generell verzichtbar sind. In der öffentlichen Kommunikation des geplanten Gesetzes sollte aus Sicht des SVR daher darauf geachtet werden, dass dem Spracherwerb – ob im In- oder Ausland – weiterhin eine zentrale Rolle für Integration und Teilhabe zukommt.

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Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Petra Bendel (Vorsitzende), Prof. Dr. Daniel Thym (Stellvertretender Vorsitzender), Prof. Dr. Viola B. Georgi, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Prof. Dr. Steffen Mau, Prof. Panu Poutvaara, Ph.D., Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger und Prof. Dr. Hans Vorländer.

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