Schleppende Visavergabe lässt Chancenkarte noch häufig ins Leere laufen
Die Chancenkarte soll helfen, den Fachkräftemangel in Deutschland zu beheben, indem die Einreise zur Suche einer Erwerbstätigkeit erleichtert wird. Dass sie noch vergleichsweise wenig nachgefragt wird, hat verschiedene Gründe. Eine Hürde ist die lange Verfahrensdauer bei der Visavergabe. Die wiederum lässt den erleichterten Nachweis der Lebensunterhaltssicherung noch häufig ins Leere laufen, zeigt eine neue Kurzinformation, die der wissenschaftliche Stab des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) erstellt hat.
Berlin, 5. Februar 2025. Wer aus einem Nicht-EU-Land kommt und in Deutschland arbeiten möchte, hat seit dem 1. Juni 2024 die Möglichkeit, über eine sogenannte Chancenkarte ein Visum zu erhalten, um auf dem deutschen Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden. Deutschland sucht weltweit nach Arbeitskräften, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Hält die Chancenkarte hier ihr Versprechen, den deutschen Arbeitsmarkt stärker für ausländische Fachkräfte zu öffnen? Die ersten veröffentlichten Zahlen zur Nutzung der Chancenkarte zeichnen noch ein eher ernüchterndes Bild.
Die Grundvoraussetzungen für das Erteilen einer Chancenkarte an Personen ohne ausländerrechtlichen Fachkräftestatus sind: Eine im Herkunftsland staatlich anerkannte akademische oder berufliche Ausbildung sowie als sprachliche Mindestvoraussetzung Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 oder B2-Englischkenntnisse. In einer zweiten Stufe kommen weitere punktebasierte Prüfkriterien wie Berufserfahrung, Alter oder Voraufenthalte in Deutschland hinzu. Diesen vergleichsweise moderaten Anforderungen steht aber die größere Hürde der vollständigen Lebensunterhaltssicherung gegenüber.
„Derzeit werden monatlich 1.027 Euro für eine alleinstehende Person als Nachweis gefordert. Bei einer maximalen Suchdauer von einem Jahr sind das hochgerechnet rund 12.300 Euro. Wer soll das auf einen Schlag aufbringen?“ gibt Dr. Holger Kolb zu bedenken, Leiter des Bereichs Jahresgutachten in der Geschäftsstelle des SVR, und Autor der Kurzinformation. „Das ist für Menschen aus Ländern mit einem wirtschaftlich niedrigeren Einkommens- und Entwicklungsstand ein schwer überwindbares Hindernis.“ Der Gesetzgeber erkenne daher für die Suchphase auch eine Vergütung durch Probe- und Nebenbeschäftigungen an, die bis zu durchschnittlich 20 Stunden pro Woche erlaubt sind. Doch hier hakt es noch: „Die an sich großzügige Vorschrift, noch nicht bestehendes, sondern für die Zukunft erwartetes Einkommen als Nachweis zuzulassen, scheitert in der Realität derzeit häufig an der damit verknüpften Visavergabe, bei der es immer wieder zu Verzögerung und langen Wartezeiten kommt“, so Kolb. „Die Chancenkarte läuft so ins Leere. Denn nur die wenigsten Arbeitgeber dürften bereit sein, eine Person einzustellen, ohne zu wissen, wann diese für sie arbeiten kann.“
Holger Kolb kommt zu dem Fazit: „Die Idee, auch zukünftiges Arbeitseinkommen als Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts zu akzeptieren, ist gut. Alles steht und fällt nun mit der Schnelligkeit und Verlässlichkeit der Visa-Erteilung. Arbeitgeber müssen absehen können, wann sie mit ihrem neuen Mitarbeiter oder Mitarbeiterin rechnen können. Die in jüngster Zeit erreichten Verbesserungen bei der Visavergabe sind daher der entscheidende Schlüssel, um die Nutzung der Chancenkarte zu erhöhen. Die Digitalisierung kann hier einen zentralen Beitrag leisten.“
Die Presseinformation steht unter diesem Link zum Download zur Verfügung.
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Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Winfried Kluth (Vorsitzender), Prof. Dr. Birgit Glorius (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Havva Engin, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Matthias Koenig, Prof. Sandra Lavenex, Ph.D., Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Prof. Panu Poutvaara, Ph.D., Prof. Dr. Hannes Schammann.
Der wissenschaftliche Stab unterstützt den Sachverständigenrat bei der Erfüllung seiner Aufgaben und betreibt darüber hinaus eigenständige, anwendungsorientierte Forschung im Bereich Integration und Migration. Dabei folgt er unterschiedlichen disziplinären und methodischen Ansätzen. Die Forschungsergebnisse werden u. a. in Form von Studien, Expertisen und Policy Briefs veröffentlicht.