Veranstaltungen – Sachverständigenrat

Reformen, die wirken? Die Umsetzung von neuen Instrumenten der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen

Fachkonferenz zur Vorstellung des SVR-Jahresgutachtens 2025 am 13. Mai 2025

Am 13. Mai hat der SVR das neue Jahresgutachten mit dem Titel „Reformen, die wirken? Die Umsetzung von aktuellen Migrations- und Integrationsgesetzen“ einem breiten Fachpublikum vorgestellt. An der Fachkonferenz in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften nahmen über 160 Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Verwaltung, Wissenschaft, Verbänden und Zivilgesellschaft teil.

In den vergangenen Jahren hat die Politik in Deutschland viele gesetzliche Reformen vorgenommen, um auf He­rausforderungen in den Bereichen Migrationssteuerung und Integrationsförderung zu reagieren. Der SVR hat die zahlreichen Gesetzgebungsakte in diesem Politikfeld zum Anlass genommen, sich in seinem Jahresgut­achten mit der Umsetzung dieser Regelungen und ihrer praktischen Wirkung auseinanderzuset­zen. Dabei geht das Gutachten auf die Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung, Instrumente zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen wie den Job-Turbo, sowie die  Reform des Staatsangehörigkeitsrechts als konkrete Fallbeispiele ein. 

Eröffnet wurde die Fachkonferenz von Annegret Korff, Leiterin der Unterabteilung H I „Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Integration“ im Bundesministerium des Innern, und Vorsitzende des SVR-Kuratoriums. Sie dankte dem SVR für das fundierte Gutachten und begrüßte, dass das aktuelle Jahresgutachten seinen Fokus auf die Umsetzung von Gesetzesvorhaben legt und damit analysiert, welche Faktoren zu einer tatsächlichen Zielerreichung beitragen. Für die neue Bundesregierung sei es von großer Bedeutung, die Digitalisierung voranzutreiben und eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu gewährleisten. Dies seien zentrale Elemente einer wirksamen Migrations- und Integrationsinfrastruktur.

Prof. Dr. Winfried Kluth, Vorsitzender des SVR, stellte anschließend die zentralen Ergebnisse und Empfehlungen des Gutachtens zum Thema Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten vor. Er wies eingangs auf das Spannungsfeld zwischen Rechtsetzung und Umsetzung hin. Zwar habe die Politik im Bereich Migration und Integration außerordentlich viele Veränderungen auf den Weg gebracht. Zugleich sei die Umsetzung von Gesetzen durch die Verwaltungen in Bund und Ländern oft zu langsam und zu bürokratisch. Gute Gesetzgebung denke die Umsetzung mit; beispielsweise dürfe das Personal in den ausführenden Behörden nicht überlastet werden, die Umsetzung müsse finanzierbar sein. Schnelligkeit sei also nicht alles.

Um die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten zu beschleunigen, habe die Bundesregierung im Herbst 2023 den Job-Turbo auf den Weg gebracht. Kernelement des Programms ist die Förderung eines frühen Berufseinstiegs, auch in unqualifizierte Tätigkeiten, ohne aber die vorausgehende sprachliche Qualifizierung aufzugeben. Während intensivierte Beratungsaktivitäten für die Jobcenter ein verpflichtendes Element sind, liegt der Einsatz arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen im Ermessen der kommunalen Behörden, und werde daher unterschiedlich intensiv bei der Zielgruppe eingesetzt. Inwiefern sich die seit 2024 steigenden Erwerbsquoten bei der Zielgruppe unmittelbar auf das Bundesprogramm zurückführen lassen, könne zum aktuellen Zeitpunkt empirisch nicht nachvollzogen werden.

Danach umriss Prof. Kluth noch kurz das Chancen-Aufenthaltsrecht, das es Geduldeten ermöglicht, unter bestimmten Voraussetzungen den Aufenthalt zu regularisieren. Er wies darauf hin, dass das Gesetz für die Betroffenen grundsätzlich attraktiv gestaltet sei und die als Brücke in einen nachhaltigen Aufenthalt konzipierte Option viel Nachfrage gefunden habe. Allerdings wären bislang noch wenige Betroffene in die Anschlussnormen übergegangen. Es sei daher wichtig zu analysieren, von welchen Faktoren eine gelingende Umsetzung abhängt.  

In der nachfolgenden Paneldiskussion wurden die Maßnahmen der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten näher erörtert. Hierzu diskutierte Prof. Kluth gemeinsam mit Carina Knie-Nürnberg, Geschäftsführerin Operativ der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit, Prof. Dr. Yuliya Kosyakova, Leiterin des Forschungsbereiches Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Dr. Lorenz Lauer, Referatsleiter Integration, Vielfalt, Familie in der Arbeitswelt bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer, und Kirstin von Graefe, Referentin der Thüringer Agentur für Fachkräftegewinnung (ThAFF)/LEG Thüringen. Die Paneldiskussion moderierte Ferdos Forudastan, Geschäftsführerin der CIVIS Medienstiftung GmbH.

Carina Knie-Nürnberg wies darauf hin, dass ungeachtet der noch ausstehenden systematischen Evaluation bereits ein Lerndialog zwischen den Bundesländern und Behörden bestehe, beispielsweise in Hinblick auf Beispiele guter Praxis. Herausforderungen für die Umsetzung des Job-Turbo seien insbesondere strukturelle Rahmenbedingungen, wie beispielsweise fehlende Deutschlehrkräfte, aber auch die Doppelbelastung der Geflüchteten durch die berufsbegleitende Weiterqualifizierung. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass für die bestehenden Herausforderungen unter Beteiligung aller betroffenen Akteure Lösungen gefunden werden können. Prof. Dr. Kosyakova betonte, dass sich die Situation je nach Gruppen unterscheidet. Für manche sei eine frühzeitige Integration in den Arbeitsmarkt realistischer und sinnvoller als für andere. So sei für qualifizierte Fachkräfte wichtig, dass sie parallel zum Anerkennungsverfahren und einer Nachqualifizierung in Helfertätigkeiten in ihrem eigenen Beruf einsteigen können. Zudem wies sie auf die Bedeutung einer systematischen Evaluation des Job-Turbo hin, um die Effekte genauer benennen zu können. Es sei zum aktuellen Zeitpunkt schwierig zu sagen, ob und wie die steigenden Beschäftigungsquoten mit dem Job-Turbo unmittelbar zusammenhängen. So wirkten sich günstige Rahmenbedingungen für ukrainische Geflüchtete wie die unmittelbare Arbeitserlaubnis nach Einreise und die Tatsache, dass sie einen unmittelbaren Zugang zu den Instrumenten der Arbeitsmarktintegration hatten, förderlich auf ihre Arbeitsmarktintegration aus im Vergleich zu anderen Gruppen, die erst ein (teilweise langwieriges) Asylverfahren durchlaufen. Dr. Lauer berichtete, dass bei vielen Unternehmen zwar eine grundsätzliche Bereitschaft zu beobachten sei, Geflüchtete zu beschäftigen, aber weiterhin ein hoher Informationsbedarf bestehe. Zudem setzen strukturelle Hürden auch gegenteilige Anreize, z. B. die mit der Wohnsitzauflage fehlende Mobilität geflüchteter Beschäftigter und eine ungesicherte Finanzierung staatlicher Unterstützungsmaßnahmen. Kirstin von Graefe unterstrich, dass es in Deutschland eigentlich kein Erkenntnisproblem gebe, sondern dass es darum gehe, die individuellen Bedarfe zu erkennen. So stellten sich für Neuzugewanderte oft ähnliche Fragen wie für Personen, die innerhalb Deutschlands umziehen. Zudem gebe es grundsätzlich ausreichend Stellen, die Betroffene informieren. Allerdings fehle es mancherorts an einer ausreichenden Spezialisierung innerhalb der Teams. Prof. Kluth diskutierte die Idee einer flexibleren Gestaltung der Beratungsleistungen im SGB II und betonte die Bedeutung einer bedarfsgerechten Verwaltung. Er wies auf die Bedeutung von Praxischecks und Reallaboren hin, da auf diese Weise vor Einführung eines neuen Gesetzes oder Programms die Umsetzung neuer Ansätze in der Praxis rechtssicher erprobt werden könne.

Auch für erwerbstätige Geflüchtete seien die hohen Lebensunterhaltungskosten insbesondere in den Großstädten ein Problem, so Carina Knie-Nürnberg. Die Gehälter in unqualifizierten Tätigkeiten seien meist nicht hoch genug, um die Kosten zu decken, so dass sie trotz Erwerbstätigkeit weiterhin abhängig von Sozialhilfe seien. Hieraus ergebe sich die Frage, wie Arbeitsverhältnisse gestaltet werden müssen, damit die Geflüchteten nicht mehr von ergänzenden Sozialleistungen abhängig seien. Prof. Dr. Kosyakova ergänzte, dass der SGB II-Bezug mit zunehmender Aufenthaltsdauer sinkt. Sie wies allerdings auch auf die spezifischen Herausforderungen von geflüchteten Frauen hin. Da Frauen häufiger als Männer eine Berufsausbildung in den reglementierten sozialen und pädagogischen Berufsfeldern mitbringen, stellen die langandauernden Anerkennungsprozesse für sie ein besonderes Hindernis für einen adäquaten Berufseinstieg dar.

Es schloss sich eine lebhafte Diskussion unter Beteiligung der Expertinnen und Experten aus dem Publikum an. So sei es sinnvoll, verstärkt intersektionale Perspektiven bei der Fragestellung zu berücksichtigen, beispielsweise die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten mit Behinderungen. Migrantenorganisationen bildeten eine wichtige Brücke zu Communities. Zudem wurde die Frage erörtert, ob es Zeit für einen Paradigmenwechsel sei – weg von einem grundsätzlichen Arbeitsverbot für Geflüchtete bei Einreise und der Beantragung einer Arbeitserlaubnis hin zu einer grundsätzlichen Arbeitserlaubnis mit Einschränkungen für bestimmte Gruppen. Einigkeit herrschte darüber, dass bisweilen auch Diskriminierung und Vorbehalte einen erfolgreichen Arbeitsmarkteinstieg hemmen.

Präsentation Fachkonferenz Jahresgutachten 2025 – Prof. Dr. Winfried Kluth

An der Konferenz nahmen über 160 Interessierte aus Politik und Verwaltung, Wissenschaft, Verbänden und Zivilgesellschaft teil.

Annegret Korff, Unterabteilungsleiterin im Bundesministerium des Innern und Vorsitzende des SVR-Kuratoriums, eröffnete die Fachkonferenz.

Der SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Winfried Kluth stellt die Ergebnisse des SVR-Jahresgutachtens vor.

Ferdos Forudastan (Moderation), Prof. Dr. Winfried Kluth (SVR), Carina Knie-Nürnberg (Bundesagentur für Arbeit), Prof. Dr. Yuliya Kosyakova (IAB), Dr. Lorenz Lauer (DIHK) und Kirstin von Graefe (ThAFF/LEG Thüringen).

Prof. Dr. Winfried Kluth, Vorsitzender des Sachverständigenrats und Carina Knie-Nürnberg, Geschäftsführerin Operativ der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit.

Prof. Dr. Yuliya Kosyakova, Leiterin des Forschungsbereiches Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am IAB, Dr. Lorenz Lauer, Referatsleiter Integration, Vielfalt, Familie in der Arbeitswelt bei der DIHK und Kirstin von Graefe, Referentin der ThAFF/LEG Thüringen.

Podiumsteilnehmende und Moderatorin (v.l.): Kirstin von Graefe, Dr. Lorenz Lauer, Prof. Dr. Yuliya Kosyakova, Prof. Dr. Winfried Kluth, Carina Knie-Nürnberg und Ferdos Forudastan.

 

Fotos: SVR/ Sebastian Gabsch