Veranstaltungen – Sachverständigenrat

Migration aus Afrika: Herausforderungen, Potenziale und Gestaltungsmöglichkeiten

Fachgespräch zum SVR-Jahresgutachten am 2. Oktober 2020 in Stuttgart

Gemeinsam mit der Robert Bosch Stiftung und der Freudenberg Stiftung lud der SVR am 2. Oktober ausgewählte Expertinnen und Experten zu einem regionalen Fachgespräch nach Stuttgart ein. SVR-Mitglied Prof. Dr. Claudia Diehl (Universität Konstanz) stellte die Kernbotschaften des Jahresgutachtens vor und ging dabei auch auf die Situation in Baden-Württemberg ein.

Migration aus Afrika quantitativ noch nicht von Bedeutung

Prof. Diehl erläuterte zu Beginn ihres Vortrages, warum sich der Sachverständigenrat in seinem elften Jahresgutachten dem Thema Migration aus Afrika und innerhalb Afrikas widmet: Es sei wichtig, der Unkenntnis über den afrikanischen Kontinent und seine Vielfalt mit Fakten zu begegnen. So sei es beispielsweise eine in der Öffentlichkeit kaum diskutierte Tatsache, dass sich der Großteil afrikanischer Migration auf dem Kontinent abspiele. Weiterhin steht Prof. Diehl zufolge der geringe Anteil von Zugewanderten aus Afrika, welche in Europa einen Anteil an der Gesamtbevölkerung von etwas mehr als 1,5 Prozent ausmachen, in keinem Verhältnis zu den medialen Bildern von massenhafter Einwanderung. In Deutschland liegt der Anteil bei unter einem Prozent der Bevölkerung. Auch in Baden-Württemberg ist der Anteil von afrikanischen Staatsangehörigen an allen Ausländerinnen und Ausländern mit nur vier Prozent sehr gering. Über die Hälfte von ihnen ist erst seit 2014 zugewandert.

Bildungsmigration aus Afrika als Chance für Deutschland begreifen

Für Deutschland sei es vor allem aus Sprachgründen nicht leicht, qualifizierte Zuwanderinnen und Zuwanderer anzuwerben, Bildungsmigration aus Afrika sei eine Chance im Kampf um die besten Köpfe, betonte Prof. Diehl. Bislang schaffe es jedoch nur ein kleiner Teil der wanderungswilligen Afrikanerinnen und Afrikaner für ein Studium nach Deutschland oder in ein anderes EU-Mitgliedsland. Afrikanische Studierende machen derzeit an deutschen Hochschulen etwa ein Zehntel aller internationalen Studierenden aus. In Baden-Württemberg studierten im Wintersemester 2017/18 rund 3.500 Menschen aus Afrika. In einer Ausbildung befänden sich noch deutlich weniger. Bildungsmigration als Brücke in den Arbeitsmarkt ist Diehl zufolge ein Steuerungsinstrument, das es auszubauen gilt. Seit 2005 können Bildungsmigrantinnen- und -migranten nach ihrem Studienaufenthalt ihren Platz auf dem deutschen Arbeitsmarkt suchen. Nach erfolgreichem Studienabschluss dürfen sie bis zu 18 Monate in Deutschland bleiben, um einen adäquaten Arbeitsplatz zu suchen. Gelingt ihnen das, können sie ihren Aufenthalt fortsetzen.

Bestehende Hürden beseitigen und neue reguläre Migrationswege eröffnen

Um die Potenziale einer Bildungsmigration aus Afrika besser nutzen zu können, sollten bestehende Hindernisse beseitigt werden. Notwendig ist der gezielte Ausbau der bisherigen Anstrengungen zur Gewinnung und Vorintegration internationaler Auszubildender aufbauend auf bestehenden Internationalisierungserfahrungen von deutschen Hochschulen. Möglichkeiten hierzu bietet u. a. das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Es erweitert Zuwanderungsoptionen auch für Personen, die keine formale Berufsqualifikation haben oder deren Qualifikation nicht als deutschen Standards gleichwertig anerkannt ist. Daneben sollten Maßnahmen zur besseren Kommunikation der Möglichkeiten legaler Zuwanderung über den Bildungsweg für afrikanische Ausbildungs- und Studieninteressierte ergriffen werden. Ein Ansatz dafür ist die stärkere Verzahnung bereits bestehender Einzelinitiativen als Teil des Unterstützungsangebots wie beispielsweise Goethe-Institute und DAAD-Außenstellen in einzelnen afrikanischen Ländern. Diese bieten die Möglichkeit, vor Ort Deutsch zu lernen und können über reguläre Zuwanderungswege nach Deutschland informieren.

Der SVR plädiert weiterhin dafür, neue reguläre Wege der Migration nach Europa und Deutschland zu eröffnen, um den für afrikanische Länder äußerst relevanten Arbeitsmarkt jenseits des Hochqualifiziertensegments zu öffnen und Alternativen zur gefährlichen Flucht über das Mittelmeer zu schaffen. Unter bestimmten Bedingungen sollte dabei auch eine Zuwanderung ohne zu deutschen Standards als gleichwertig anerkannte Qualifikationen möglich werden. Die Sachverständigen empfehlen in ihrem aktuellen Gutachten: eine (Re-)Aktivierung der EU-Saisonarbeitnehmerrichtlinie, die Nutzung der Potenziale von Mobilitätspartnerschaften und die Nutzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes für Afrika.

SVR-Vorschlag: Temporäres Arbeitsvisum gegen ‚Kaution‘

Weiterhin schlägt der SVR eine marktwirtschaftliche Steuerungsoption vor: die Einführung eines temporären Arbeitsvisums mit finanzieller Sicherheitsleistung. Statt für Schlepperdienste könnten Zuwanderungsinteressierte ihre finanziellen Mittel künftig nutzen, um eine ‚Kaution‘ zu leisten. Diese ‚Kaution‘ dient zur Sicherstellung der Rückkehr. Hierbei sei auch eine anteilige Kostenübernahme von deutschen Unternehmen denkbar, denn auch diese könnten von einer solchen Regelung profitieren, so Prof. Diehl. Voraussetzung sei, dass mit den entsprechenden Herkunftsländern Rücknahmeabkommen bestehen.

Die Afrikanische Diaspora einbeziehen

Prof. Diehl schloss ihren Vortrag mit der Empfehlung, das Wissen der afrikanischen Diaspora in Deutschland zu nutzen und diese stärker einzubeziehen. „Wir wissen wenig über Afrika, aber die afrikanischen Menschen, die in Deutschland leben, bringen dieses Wissen mit. Dieser Schatz muss gehoben werden“, so Diehl.

Kommentar der Stiftungen

Sarah Fuchs von der Freudenberg Stiftung sprach sich für eine bessere soziale Integration von Zugewanderten in Deutschland und einen offensiveren Umgang mit strukturellem Rassismus aus. Aus Sicht der Freudenberg Stiftung sei außerdem ein Perspektivwechsel nötig: weg vom Blick auf formale Qualifikationen hin zum Blick auf Menschen mit ihren unterschiedlichen Potenzialen. Raphaela Schweiger von der Robert Bosch Stiftung ging in ihrem Kommentar auf den Aspekt der partnerschaftlichen Kooperationen zwischen Europa und Afrika jenseits der staatlichen Ebene ein. Hier gebe es viele gewinnbringende Kooperationen beispielsweise im Bereich der Forschung, aber auch zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse oder Partnerschaften zwischen europäischen und afrikanischen Städten (wie z.B. das Projekt Bürgermeisterdialog).

Diskussion im Expertenkreis

Die anschließende vertrauliche Diskussion mit den Teilnehmenden aus Ministerien, Wirtschaft, Verbänden und Zivilgesellschaft wurde von der SVR-Geschäftsführerin Dr. Cornelia Schu moderiert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer schätzten das vom SVR bereitgestellte Datenmaterial als sehr hilfreich ein. Diskutiert wurden unter anderem Fördermöglichkeiten, um afrikanischen Studierenden den Weg nach Deutschland zu erleichtern, aber auch die Notwendigkeit des Ausbaus von Bildungspartnerschaften im Bereich der beruflichen Ausbildung mit afrikanischen Staaten.

Weiterhin wurde über die Diskrepanz zwischen den wirtschaftlichen Stimmen nach mehr Zuwanderung und der fehlenden Akzeptanz in der Bevölkerung gesprochen. Prof. Diehl verwies hier auf die Vorteile einer zirkulären Migration, welche der SVR mit seinem Vorschlag des Arbeitsvisums gegen ‚Kaution‘ stärken möchte. Gleichzeitig würden von diesem Modell auch die Herkunftsstaaten profitieren, wenn Fachkräfte mit ihren Erfahrungen aus Deutschland zurückkehren. Diese Möglichkeit der Rückkehr ins Heimatland entspreche auch den Wünschen vieler Migrantinnen und Migranten, so Diehl.

 

Fotos: Robert Thiele / Robert Bosch Stiftung